Ich bringe E zur Kita und will danach zu meiner Frauenärztin fahren als ein krampfartiger Schmerz einsetzt, der mich an Wehen erinnert. Nicht in der Intensität, dass sie meinen Muttermund bewegen würden, aber durchaus so, dass mir schwindelig wird und ich atmen muss. Nicht um Luft zu holen. Schön, auf PMS folgt Regelschmerz.
Während der Autofahrt zu meinem gestern vereinbarten Termin sitze ich über das Lenkrad gebeugt und versuche gleichmäßig zu atmen und mich - neben dem Verkehr - nur darauf zu konzentrieren. Mehrfach fahre ich zu schnell oder zu langsam, der Regen prasseln auf die Windschutzscheibe. Auf dem Weg zum Auto war ich noch einmal umgekehrt, um Ibuprofen mit einem Glas Wasser runterzuspülen. Jetzt ist mir etwas flau von dem Scherzmittel auf leeren Magen, aber ich merke nach zwanzig Minuten, wie die Krämpfe schwächer werden. Ich parke ein und bleibe noch kurz sitzen, sehe dem Regen zu und checke bei Instagram Nachrichten. Gestern erzählte ich doch von prämenstrualen Syndrom, heute vom Schmerz und dem Stigma. Ich habe viel Nützliches durch den Austausch über PMS gezogen, mich erreichen viele Erfahrungsberichte, Ratschläge, Ideen. Meine ist, meine PMS und diese Regelschmerzen ab jetzt ernst zu nehmen und nicht mehr abzutun. Das fühlt sich nicht normal an und ich verstehe nicht, wie ich es so viele Jahre als normal annehmen konnte.
Ich verstehe es natürlich schon: Patriarchale Strukturen, die Periode als Stigma von Scham und Schmutz, normschöne Frauenvorbilder uswusf. Weibliche Hygieneprodukte - der Begriff impliziert ja schon Unreinheit. Bei meinem erstem Freund versuchte ich meine Periode zu verheimlichen, weil ich fürchtete, er würde mich ablehnen. Wegen eines anderen kaufte ich Softtampons, um unbemerkt Sex während der Periode haben zu können. Erst später lernte ich, dass die klugen Männer trotzdem mit mir schliefen - wenn ich es denn wollte.
Auch in der Schule war meine größte Sorge während der Periode gewesen, dass sich ein rot-bräunlicher Abdruck auf meiner Hose abzeichnen könnte, wie es bei dem Mädchen gewesen war, das oben mit dem Rücken zur Treppe gestanden hatte, sodass alle vorbeigehenden SchülerInnen den Fleck sehen konnten. Meine Sorge vor ihrem beschämten Gesichtsausdruck und dass ich auch damit in Verbindung gebracht werden könnte, hielten mich davon ab zu ihr zu gehen. Ich hätte mich lieber darum sorgen sollen, dass ich vor Schmerzen einmal tatsächlich fast ohnmächtig wurde. Aber da versteckte ich mich auf dem Klo und ließ kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen bis meine Mama kam, um mich abzuholen.
„Du hast doch deine Periode noch gar nicht.“ entgegnet mir eine Freundin im Mädchenklo. Ich weiß nicht einmal mehr, ob sie recht hatte oder nicht. Aber ich wollte so dringend zum roten Club gehören. Jetzt fürchte ich ihn nach zwei Schwangerschaften um so mehr. Viele schrieben mir von ähnlichen Erfahrungen nach ihren Schwangerschaften und einige andere, dass das die Vorbereitung auf die Menopause ankündigen kann. Super duper. Besser wird es also erst wieder in fünfzehn Jahren, oder wie? So hatte ich mir das nicht vorgestellt mit der Periode.
An der Rezeption meiner in meiner Jugend für gut befundenen Frauenärztin, bei der ich nach unserem Umzug wieder vorstellig werden wollte, werde ich abgewiesen. Noch sei ich privat versichert, heute würden aber nur gesetzlich versicherte PatientInnen behandelt werden. „Frau Doktor nimmt sich für private PatientInnen besonders viel Zeit. Heute geht das leider nicht.“ Ich erzähle ihr von meinen PMS-Beschwerden und den Regelschmerzen und dass das Buchungssystem auf das ich verwiesen wurde mir diesen Termin angezeigt hat, aber sie winkt ab. Ich gehe durch das Wartezimmer mit den Menschen zweiter Klasse.
Ich komme soweit durch den Tag. Abends wasche ich im Bad Periodenunterwäsche aus, Blut läuft den Abfluss entlang. Nach der heißen Dusche und dem Zubettgehritual mit einem Kleinkindmädchen lege ich mich mit meinem neuen Buch aufs Sofa „Maisie Hills period power, das solltest du lesen.“ schrieb mir meine Freundin mit den zuverlässig guten Buchempfehlungen gestern. Ich nickte, schrieb den Verlag nach einem deutschen Rezensionsexemplar an, das bereits heute Nachmittag mit der Post geliefert worden ist.
Ich weiß nicht, was ich erwarte habe, aber es nicht das: Maisie Hill benutzt inklusive Sprache, spricht nicht-binäre und transsexuelle Personen an - eben alle, die menstruieren können oder könnten. Sie beschreibt Körper und Genitalien und in ihrer Vielfalt und betont die Schönheit genau dieser. Sie informiert über den Zyklus und dass dieser genormte 28 Tage-Zyklus eigentlich nur bei 12 % der Frauen vorliegt. Darüber, dass wir bis zur sechsten Schwangerschaftswoche alle eine genitale Anlage haben. Bei biologischen Frauen entsteht eine Klitoris(eichel), bei Männern die Peniseichel. Unsere Vulvalippen finden ihr biologisch männliches Pendant als feine Linie über Penis, Hodensack bis hin zum Anus, die ein Leben lang bestehen bleibt.
Maisie Hill schreibt über die vier Jahreszeiten der Periode: Winter (Menstruation), Frühling (Folikelphase), Sommer (Eisprung), Herbst (luterale Phase). Und darüber was in jeder dieser Phasen im Körper von Menstruierenden passiert. Was das mit mir und uns macht. Sie schreibt einfühlsam und schafft es wirklich, mir einen anderen, weichen Blick auf den Zyklus zu geben. Sie erinnert mich an die jeweilige Wichtigkeit der Zyklusphasen, an die mit der Hormonlage einhergehenden Stärken (und Schwächen) und zeigt mir Möglichkeiten auf, wie ich auf mich achten kann. Sie gibt mir das Gefühl, mit meinem Zyklus genau richtig zu sein.
So möchte ich mir Periode vorstellen, so will ich Periode leben. Im Einklang mit meinem Körper, nicht dagegen anfluchend und aus dem Takt geraten. Vielleicht können meine Töchter ihre ersten Perioden wie ich einst auch kaum erwarten, aber sie dann auch besser annehmen als ich es in meinen ersten zwanzig menstruierenden Jahren konnte. Mehr als die Hüfte meiner vierhundert Zyklen ist schon vergangen. Ich nehme mir vor, die kommenden anders anzugehen und zu begrüßen. Auf meine To-Do-Liste schreibe ich, eine neue Gynäkologin zu finden, die nicht erst im nächsten Mai Zeit für mich und meine Beschwerden hat.