Es ist diese besondere Zeit im Jahr, die ich fast mehr als - oder wegen - Weihnachten so schätze. Seit Jahren habe ich das Privileg, mir “zwischen den Feiertagen” vom 27. Dezember bis zum 6. Januar freinehmen zu können. Es ist die Zeit, in der meine Branche ruht und ich gern etwas den Anschluss verpasse. Alles leuchtet noch aus der satten Weihnachtszeit, nichts in mir hungert nach mehr.
Meistens verbringe ich die Zeit mit Zeit haben und frage mich, wieso das jetzt so gut geht und sonst zu oft nicht. Ist es die digitale Fastenkur, die automatisch einsetzt, wenn keiner wirklich relevante Inhalte bietet (außer Meta, die kurz vor Weihnachten natürlich Threads an den Start bringen)? Ist es, weil alle, die es können, aussetzen und damit die Furcht, etwas zu verpassen, sinkt? Sind es die Raunächte, von denen ich ehrlicherweise letztes Jahr (also 2022 falls ihr schon durcheinander kommt) etwas gehört und dieses Jahr erstmal eine Anleitung dazu gelesen habe?
Ich habe nicht das Gefühl, ein spezielles Ritual zu brauchen. Mein Körper ist wie der eines Braunbären zum Beginn des Winterschlafs darauf ausgerichtet, in diesen besonderen Tagen in ein Vakuum zu fallen. Ja, die Uhren und vor allem Kalender bewegen sich weiter, auch die Erde dreht sich weiter um die Sonne und sich selbst und trotzdem passiert etwas mit meiner inneren Uhr, wenn das eine Jahr vergeht und das nächste beginnt. Je langsamer die Zeit sich dreht, je mehr ich schlafe und ruhe und Petterson und Findus gucke, auf Nachtwanderungen mit Laterne gehe und Bücher lese, in der Badewanne die Fliesen zähle und mir sogar Fenchel brate, desto klarer scheinen mir meine Gedanken, Probleme und - tdah, Lösungen zu sein. Ich kann mich selbst anders, aus der Ferne betrachten.
Eigentlich müsste jedes größere Problem bitte einfach nur kurz vor Weihnachten auftauchen. Es ist dann eh egal - weil Weihnachten und danach, zack, löst es sich von selbst. Und es ist nicht so als hätte ich nicht versucht, mir diese Attitüde für den Rest des Jahres zu bewahren, das habe ich durchaus. Aber sie verflüchtigt sich mit der zunehmenden Zahl der Kalendertage. Vielleicht macht das ihre Magie aus?
In diesem Jahr stehe ich vor einem nicht unerheblichen beruflichen Problem. Und dass mich dieses Problem, vor allem in diesem Jahr noch (schon?), ereilen würde, hatte ich wahrlich nicht auf dem Schirm. Alles was ich nach diesem vollen und intensiv aufregenden 2023 dachte, war: Jetzt noch im neuen Angestelltenjob ankommen und dann entspannt ins neue Jahr. Harhar.
Mein Gehirn suggerierte mir, dass ich mit einer Festanstellung quasi nie wieder Sorgen, aber immer Sicherheit hätte. Nette KollegInnen, eine sinnstiftende Aufgabe - was soll da schon schief gehen? Dass Erfahrungen durchaus anders sein können als erwartet, musste ich erst einmal akzeptieren. Und dann sehr oft und sehr lang Mittagsschlaf machen. Ungefähr so lang bis ich dachte: Naja, so schlimm ist es ja nicht. Aber das ist kein Satz, den ich für mein (Berufs)Leben benutzen möchte.
Das Problem zu analysieren während ich Geschenke einpackte, mir die Situation begreiflich zu machen als ich Essen vorbereite, erschien mir wie das mühselige Schälen einer Zwiebel. Mit jeder Schicht, die ich ablegte - und das war neu für mich, dass ich mich öffnete statt einerseits die Panik auszuhalten und sie andererseits zu kaschieren, was mich insgesamt nur davon abhielt sinnvolle Lösungen zu finden - entdeckte ich etwas Neues an mir, Gutes wie Schlechtes, das hielt sich schon die Waage.
Ich bemerkte, dass ich wirklich gut in meinem Job bin. Ein tolles Gefühl! Und dass ich mich überraschend gut organisieren und fokussieren kann. Das hatte ich nicht erwartet. Auch, dass ich eine moralische Stimme bin und mich nicht scheue, diesen Platz einzunehmen, um Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen. Ich bin erstaunlich unbequem, das gefällt mir an mir.
Aber wie es mir geht, gefällt mir nicht. Ich funktioniere. Mein Autismus und ADHS können die Stärken bedingt ausspielen, aber zeigen ihre Schwächen stärker als in den letzten Jahren, in denen ich mir selbst manchmal unsicher war, ob ich eines von beidem vielleicht, möglicherweise haben könnte. Die neue Arbeit liefert den Beweis, dass ein Teil meines Privilegs nur dann eines ist, wenn ich es unter meinen Rahmenbedingungen nutzen kann. Es wird sonst - wie bei so vielen - zum Handicap. Ich funktioniere also und dabei geht es mir nicht gut. Ich komme zu kurz und mein Familienleben auch. Und ich habe ständig das Gefühl, dass mir die Zeit für meine eigentliche Aufgabe fehlt.
Ich suche nach Mustern und Lösungen, Kompromissen und mich durch meine eigenen alten Strukturen. Ich atme ein, ich atme aus. Ich schlafe ein, aber nie aus. Ich fühle mich überprivilegiert und schuldig dafür. Ich erwarte Kritik und Verurteilung und frage mich, wie ätzend mich alle finden könnten. Bei der Arbeit und darüber hinaus. Bei Thread schreiben alle Maus und ich muss dringend aufhören zu reimen.
Und dann kommt sie, diese besondere Zeit im Jahr. Und mit ihr der Weitblick auf mich und das größere Bild, das ich zeichne. Das Problem ist das gleiche, aber ich kann es aus einer anderen Perspektive, losgelöst von meinem Alltag betrachten.
„Im Zweifel finden sie mich doof und sprunghaft und können meine Entscheidung nicht verstehen. Und andere finden das vielleicht auch.
Aber. Dass ich weiß, was ich brauche, was mir gut tut und danach handele, das ist doch wichtiger, oder?“, scheibe ich an meine Freundin G.
Ich greife zum großen Blatt Papier und einem Stift und fange an, mein 2024 zu planen. Ich bastel mir einen Wandkalender, auf dem ich farblich Auszeiten, Arbeitszeiten und Urlaube markiere. Dann zoome ich rein und fülle mein Jahr, mein Leben, meinen Alltag mit den konkreten Projekten und Aufgaben. Ich zoome raus und betrachte das Jahr und sehe, was für mich vorher unsichtbar bliebt. Wie unglaublich privilegiert meine selbstständige Arbeit ist. Und wie sehr ich das aus den Augen verloren hatte.
Wie wunderbar das ist, was da im nächsten Jahr kommen könnte. Ich sehe, dass ich zum Start Mut brauche und die Gefahr besteht, meinen Antrieb wieder aus dem Blick zu verlieren, wenn das Jahr voller wird. Mein Ziel, meine Werte, mein Warum, alles was zu meinem Gesamtbild über meine Arbeit gehört, notiere ich mir und bringe es mit dem Plan und den Ideen um die Projekte an die Wand. Das ist mir fast ein wenig unangenehm, aber ich will das festhalten, was ich jetzt sehen kann und vorher nicht mehr konnte.
Und das ist es vielleicht, was die Zeit zwischen den Jahren so besonders macht: Dass der Alltag ruht und wir losgelöst davon die Klarheit über das bekommen können, was wir uns vom Leben wünschen. Und vielleicht noch etwas Zeit finden, um uns zu überlegen, wie wir mehr davon in unseren Alltag holen können.